Genderfreie Erziehung: eine Alternative zu typischen Rollenbildern?
Mädchen im rosaroten Prinzessinnenkostüm, Buben im blauen Fußballtrikot: Das sind die typischen Rollenbilder. Aber ist eine Erziehung ohne typische Geschlechterrollen wirklich besser für das Kind?
von LIVIA STEINER
Viele Eltern beschäftigen sich mit dem Thema der genderfreien Erziehung und das nicht erst seit Kurzem. „Schon als ich meine Tochter vor 22 Jahren bekam, war die Erziehung ohne Geschlechterrollen ein großes Thema“, erinnert sich Evelin Steiner an die Zeit zurück. Und damit ist sie nicht die einzige. Bei einer Umfrage im Jahr 2000 stimmten 86% der befragten Frauen zu, dass eine Erziehung ohne genaue Geschlechterrollen für sie wichtig ist. Dennoch wird auch heute noch von „typisch Mädchen“ und „typisch Buben“ gesprochen. „Als ich mit meiner Tochter damals mit einem blauen Kinderwagen spazieren gegangen bin, dachten alle, dass sie ein Bub ist“, sagt Evelin Steiner. Die Rollenbilder sind in unserer Gesellschaft verankert. Mehreren Studien zufolge könnte es aber daran liegen, dass einige geschlechterspezifische Verhaltensweisen einfach angeboren sind.
Typische Verhaltensweisen: Was ist angeboren?
Wissenschaftler sind sich einig, dass die Unterschiede zwischen den Geschlechtern ein Zusammenspiel von genetischer Veranlagung und den Einflüssen unserer Umwelt sind. Es gibt Verhaltensunterschiede bei Mädchen und Jungs, die sie bereits im Mutterleib zeigen. Jungen sind schon im Mutterleib viel aktiver als Mädchen. Direkt nach der Geburt sind auch kleine Unterschiede zu erkennen. So fanden Wissenschaftler im Zuge einer Studie heraus, dass Mädchen mehr Interesse an Gesichtern zeigen, während Jungs sich eher an abstrakten Dingen orientieren. Auch später sind Jungen risikofreudiger und körperbetonter, während kleine Mädchen in ihrer Feinmotorik und ihrer Sprachentwicklung gleichaltrigen Jungen meist voraus sind, so die Wissenschaftler in ihrer Studie. Unterschiede wie diese werden im Laufe der Zeit immer ausgeprägter und schließlich entwickeln sich die Kinder zu den typischen Jungs und Mädchen.
Doch es gibt natürlich auch viele Verhaltensweisen, die nicht angeboren sind. Aber woher kommen sie?
Mädchen fühlen sich zu Mädchen zugehörig
„Ich habe meine Tochter damals alle möglichen Sportarten ausprobieren lassen. Von Fußball bis hin zu Schispringen. Aber schließlich hat sie sich dann trotzdem für Ballett entschieden“, sagt Evelin Steiner. Sie erklärt sich diese Entscheidung damit, dass beim Ballett schon sehr viele Mädchen waren und beim Fußball fast ausschließlich Jungs. Sie glaubt, ihre Tochter hat sich einfach mit Mädchen wohler gefühlt und sich deshalb für Ballett entschieden. Zum gleichen Ergebnis kommt auch Pädagogin Melitta Walter in ihrem Buch „Jungen sind anders, Mädchen auch: Den Blick schärfen für eine geschlechtergerechte Erziehung“. Im Zuge ihrer Recherchen stellte sie fest, dass der Grund dafür, dass sich Jungs für Jungs-Sportarten entscheiden meist der ist, dass sie sich unter Gleichgeschlechtlichen befinden. Daher kommt sie zu folgendem Schluss: Ein Kind zwanghaft von typischen Geschlechterrollen fernzuhalten ist genauso schädlich für die Entwicklung, wie es in diese Rollen zu drängen. „Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern sollen und dürfen sein. Es geht nicht um Gleichmacherei, sondern um Chancengleichheit“, schreibt die Pädagogin in ihrem Buch.
Genderfreie Erziehung: Positiv für das Selbstbewusstsein
Melitta Walter ist sich auch sicher, dass eine genderfreie Erziehung sowohl Vorteile als auch Nachteile mit sich bringen kann. „Eine geschlechterneutrale Erziehung kann zu Hause wunderbar funktionieren. Spätestens mit dem Kindergarten werden die äußeren Einflüsse aber stärker. Viele Eltern sehen ihre Bemühungen der letzten drei Jahren dann den Bach hinuntergehen“, schreibt die Pädagogin. Sie erwähnt aber auch, dass die Jahre vor dem Kindergartenalter bereits eine prägende Rolle in der Entwicklung der Kinder haben können. Deshalb sollte man sich trotzdem für die genderfreie Erziehung entscheiden. „Der Vorteil liegt auf der Hand: Kinder können sich freier entfalten und die Eigenschaften entwickeln, die ihrer Persönlichkeit entsprechen“. Diese Art der Entwicklung sei positiv für das Selbstbewusstsein des Kindes.
Fazit: Es gibt Verhaltensweisen von Jungen und Mädchen, die angeboren sind, aber auch die äußeren Umstände beeinflussen die typischen Geschlechterrollen. Dennoch raten Experten zu einer genderfreien Erziehung, denn diese stärkt wichtige Charakterzüge der Kinder. Dabei sollte man aber natürlich immer auf die Bedürfnisse des Kindes eingehen. Auch wenn diese Klischees bestätigen.
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