Ordensfrauen: Zwischen Versuchungen und Gottesliebe
Schwester Miriam ist Nonne geworden, da war sie gerade erst Anfang 20. Wie ist es, als Ordensfrau ohne Eigentum und Partnerschaft zu leben und was bedeutet das in Sachen Freiheit? Ein Blick hinter 1.300 Jahre alte Mauern.
von ALEXANDRA HOGAN
Es könnte ein Raum aus einer längst vergangenen Zeit sein. Möbel aus Vollholz, nichts industriell Gefertigtes von Ikea, alte Vorhänge und in der Mitte ein gusseisernes Gitter. Letzteres teilt das Besucherzimmer in zwei Bereiche. „Eigentlich wirklich sehr schön und kunstvoll gemacht“, sagt Schwester (Sr.) Miriam. Und fügt schnell hinzu: „Das ist noch von früher. Wenn eine Schwester Besuch empfangen hat, dann war sie hinter dem Gitter und die Besucher davor.“
Heute setzt sich Sr. Miriam nicht hinter das Gitter, sondern in den ehemaligen Besucherteil; schwungvoll, dynamisch und trotzdem kontrolliert sind ihre Bewegungen. Auf dem Tisch liegt eine gehäkelte Tischdecke, darüber eine durchsichtige Plastikplatte. Auch wenn man dem verwinkelten Kloster sein Alter ansieht, mit Sauberkeit und Ordnung gibt es hier keine Probleme. Die Luft ist frisch – wichtig in einer Umgebung, in der auch betagte Mitschwestern wohnen, gerade in Zeiten von Corona.
Die Benediktinerinnenabtei Nonnberg sei streng klausuriert, sagt Sr. Miriam – aber nicht ganz streng. Seit dem zweiten Vatikanischen Konzil, einer Versammlung katholischer Bischöfe aus aller Welt in den 1960ern, sei einiges etwas lockerer geworden. Konkret heißt das: In der Regel verlassen die Schwestern die Klausur, den ihnen vorbehaltenen Bereich, nicht. Aber sie können einmal im Jahr für drei Wochen auf Urlaub fahren. Im Orden der unbeschuhten Karmeliten sei das beispielsweise nicht so, da dürften die Schwestern nur in medizinischen Notfällen das Kloster verlassen und die Gespräche mit Freunden und Familie fänden nach wie vor „hinter Gitter“ statt. „Das würde ich nicht aushalten“, denkt Sr. Miriam laut.
Eintritt ins Kloster kam unerwartet
Im Jahr 2018 lebten in Österreich rund 3.200 Ordensfrauen. Weltweit waren es 650.000, Tendenz sinkend. Trotzdem kommen manche Klöster immer wieder mit Nachrichten über regen Ordensnachwuchs in die Medien, während andere Gemeinschaften wortwörtlich aussterben, weil unter jungen Leuten kaum Interesse an ihnen besteht. Was sie zu unterscheiden scheint, ist oftmals die „Linie“ der Gemeinschaft. Das Kuriose scheint zu sein: Während Gemeinschaften mit lockeren Regeln um Nachwuchs ringen, muss so manches Kloster mit strengeren Richtlinien seine Räumlichkeiten ausbauen, um mehr Platz zu schaffen.
Dass Sr. Miriam mittlerweile in ihren Fünfzigern ist, sieht man ihr nicht an. „Das kommt vom vielen Beten, das macht glücklich und hält jung“, kommentiert sie ihre glatte Haut und lacht dabei. Sich vorzustellen, sie könnte Jeans und T-Shirt tragen, ist fast absurd. Das schwarze Gewand, Habit genannt, und der Schleier scheinen zu ihrer Persönlichkeit zu gehören.
Als Jugendliche hätte sie sich niemals gedacht, dass sie einmal im Kloster landen würde. Im Bereich Entwicklungshilfe arbeiten, heiraten, eine Familie gründen – das war der ursprüngliche Plan, erzählt sie und lacht laut. „Das ist dann wohl ein bisschen anders gelaufen, letztendlich.“ Als Teenager ahnte sie nicht, dass sie im Kloster nicht ihre Freiheit aufgeben müsse, sondern sie erst genau hier finden würde.
Sr. Miriams Lebensgeschichte hat Ecken und Kanten. In Fuschl am See in einer katholischen Familie aufgewachsen, kam ihr Glaube schon in jungen Jahren in Bedrängnis. Ein Lehrer machte ihr zu schaffen, die Aussicht, ein Schuljahr wiederholen zu müssen; dann der Tod einer Freundin im Alter von 16 Jahren, bei einem Autounfall. „Das hat meinen Glauben erschüttert und mich von Gott entfernt. Ich hatte das Gefühl, dass mir Gott in diesen Situationen nicht helfen kann“, erinnert sich die Ordensfrau. Am Sonntag den Eltern zu Liebe in die Kirche, aber auch Fortgehen, in Discos tanzen, eine Beziehung, das war ihr Leben.
Eintritt in Orden als Skandal
Zum Leben in einem Kloster gehört der Zölibat ganz selbstverständlich dazu. Keuschheit, Armut und Gehorsam versprechen die Mitglieder vieler Ordensgemeinschaften; in anderen sind es Beständigkeit, klösterlicher Lebenswandel und Gehorsam. Egal, welche Art von Gelübde man ablegt, die Ehelosigkeit ist immer dabei. „Der Eintritt in einen Orden muss mit all seinen Verpflichtungen gut durchdacht sein“, erklärt der Salzburger Psychiater Ricardo Febres Landauro. Entscheidungen aus dem Bauch heraus seien nicht angebracht. Eine Frau, die am Klosterleben interessiert ist, müsse sich darüber im Klaren sein, dass mit der Gemeinschaft auch ganz bestimmte Regeln einhergehen.
Für Febres ist eine Unterscheidung wichtig, nämlich dass Freiheit nicht mit Wahlfreiheit gleichzusetzen ist. „Wir haben heute viel mehr Wahlmöglichkeiten als noch vor 500 Jahren, deswegen ist das subjektive Empfinden von Mangel heute größer als damals. Sich in seinen Möglichkeiten einzuschränken bedeutet aber nicht, seine Freiheit zu verlieren. Innere Freiheit kommt nicht aus äußeren Wahlmöglichkeiten.“ Folglich bedeute die Annahme einer zölibatären Lebensform nicht die Aufgabe der eigenen Freiheit – auch wenn der Zölibat die individuellen Wahlmöglichkeiten einschränkt.
Warum es oft fast schon ein Skandal sei, wenn ein junger Mensch in ein Kloster eintritt? Es gehe um das, was man glaube, sagt der Psychiater. „Wenn ich den Glauben einer Person nicht teilen kann, ist das, was sie glaubt und spricht für mich nicht erlebbar – also wird dieser Schritt zum Affront.“
Es ist Sr. Miriams Tante zu verdanken, dass sie ihre Beziehung zu Gott dann doch wiedergefunden hat. Die Tante hatte ihrer jungen Nichte nach Abschluss der Schule eine Reise nach Jugoslawien geschenkt. „Super, hab‘ ich mir gedacht, das wird mir gezahlt und wir kommen ans Meer“, dachte sich die damals 18-Jährige – unwissend, dass die Reise sie nicht an einen idyllischen Strand, sondern in den kargen Marienwallfahrtsort Medjugorje im heutigen Bosnien-Herzegowina führen würde. Es folgte – nach anfänglichem Schock – ihr „Umkehrmoment“, wie sie es nennt; ein gewaltiges Aha-Erlebnis, als sie das erste Mal seit langer Zeit wieder zur Beichte ging. „In diesem Moment hat mich Gott berührt“, sagt sie.
Nach einigen Jahren dann die Entscheidung. Sr. Miriam tritt in das Benediktinerinnenkloster am Salzburger Nonnberg ein; in das älteste Frauenkloster mit ununterbrochener Tradition weltweit. Und schnell stellt sich die Erkenntnis ein: Im Kloster verliert man Freiheit, aber man gewinnt sie auch.
Nicht mehr Herr über sich
Clementina* ist mit 25 Jahren in eine Wiener Klostergemeinschaft eingetreten. Auch sie hat die Liebe zu Gott dorthin gebracht, aber: Sie ist nicht geblieben. Nach rund zwei Jahren hat die quirlige junge Frau den Orden mit einer schweren Depression verlassen. Was anfangs wie eine große Liebesgeschichte aussah, war nicht von langer Dauer. „Als ich das erste Mal für einige Zeit die Gemeinschaft besucht habe, habe ich mich sofort verliebt. Ich habe sofort gedacht, dass ich da eintreten möchte“, beschreibt sie ihre erste Begegnung. Eine klassische Bauchentscheidung.
Heute ist die lebhafte Brünette mit dem ansteckenden Lachen Juristin in einem österreichischen Ministerium, treibt viel Sport, hat einen regen Freundeskreis und genießt die vielen Kleinigkeiten, die ihr im Kloster verwehrt waren. „Komischerweise habe ich nicht damit gehadert, eine eigene Familie mit der Entscheidung für das Kloster aufzugeben. Für mich war der Gedanke schwieriger, mit meinem Eintritt meinen gesamten Besitz aufgeben zu müssen. Andere sagen, das ist befreiend, aber bei mir war das überhaupt nicht der Fall“, sagt sie, während sie sich die Brille auf ihrer Nase richtet. Das schwierigste an ihrem Leben als Ordensfrau: nicht Herr über sich selbst zu sein. „Da entscheidet immer ein Oberer mit.“
Und dann war da noch die Sache mit dem Schlafen. Sie erklärt: „Im Kloster hat der Tag offiziell mit dem ersten Gebet um 5.35 Uhr angefangen. Abends geht man deswegen sehr früh zu Bett. Für mich war das alles andere als leicht.“ Nach ihrem Austritt hat Clementina in einem Buch einen Satz gelesen, der jetzt für sie der Inbegriff von Freiheit ist: „Freiheit ist, wenn man selbst entscheidet, wann man schlafen geht.“ Trotzdem bereut sie die Zeit bei den Schwestern nicht. Diese Erfahrung habe sie zu der Person gemacht, die sie heute ist.
Und letztendlich bedeutet ihr Weg nicht, dass andere Menschen nicht Erfüllung und Freiheit im klösterlichen Leben finden können. „Es ist halt nicht mein persönlicher Weg, nicht meine Berufung“, sagt Clementina und nimmt einen Schluck Cola aus ihrem Flamingoglas. Cola und Flamingo, das sind große Leidenschaften für sie. Zumindest den amerikanischen Softdrink hätte es hin und wieder im Orden gegeben, erzählt sie zufrieden.
Freiheit ist „Frei sein von mir selbst“
„Manchmal würde ich schon gerne einfach raus und eine Runde joggen gehen, mich richtig bewegen“, sagt Sr. Miriam und gestikuliert dabei mit ihren feinen Händen. Dass sie im Kloster nicht allzu viel Sport betreiben kann, sieht man ihr nicht an. Zumindest genug Sport, dass man ohne Probleme gesund bleibt, meint sie. Durch die engen Gänge der altehrwürdigen Gemäuer bewegt sie sich rasch und wendig, und erzeugt dabei mit ihrer Ordenstracht ein wehendes Geräusch. Auf dem Weg von der Pforte, dem Eingang des Klosters, ins Besucherzimmer im ersten Stock kommt man ihr kaum nach, so schnell geht sie.
Viele Kleinigkeiten sind in der Benediktinerabtei Nonnberg nicht mehr möglich und jede einzelne davon bedeutet ein Opfer. Vor kurzem habe es eine Kandidatin für die Gemeinschaft gegeben, eine junge Frau, Spitzensportlerin. Die Sehnsucht nach Sport habe ihr aber keine Ruhe gelassen. „Nach einigen Monaten ist sie dann wieder gegangen“, erzählt Sr. Miriam und sieht dabei ein wenig wehmütig aus.
Am Anfang halten viele Novizinnen, die Schwestern in Ausbildung, die Klausur noch gut aus, berichtet Sr. Miriam, aber nach einigen Monaten wird es in der Regel mühsamer. Als sie eingetreten ist, hat die „Noviziat“ genannte Probezeit noch sechs Jahre gedauert. Eines davon war besonders streng: Zwölf Monate lang durfte sie gar keinen Besuch empfangen, weder von Verwandten noch von Freunden. Warum Sr. Miriam trotz Verzicht auf viele Dinge, die ihr lieb sind oder waren, ins Kloster gegangen und noch immer da ist? Kurze Stille, sie atmet tief durch und streicht sich über den schwarzen Schleier. „Zuerst erkennt man es nicht, aber man wächst mit der Zeit in die Freiheit hinein. Freiheit bedeutet für mich auch, von mir selbst frei zu sein. Ich möchte nicht um mich kreisen, sondern mehr und mehr Christus ähnlich werden.“
Gleichzeitig bedeutet Freiheit für Sr. Miriam, frei von Dingen zu sein. Für junge Menschen heute sei es schwieriger, sich für ein klösterliches Leben zu entscheiden als noch vor einigen Jahrzehnten. „Heute gibt es so viel, gerade die Technik, moderne Handys. Aber diese Dinge können uns auch daran hindern, unseren Weg zu gehen. Wenn eine junge Frau das alles gewöhnt ist, dann ist der Einschnitt mit dem Eintritt ins Kloster heftiger.“
Der lange Weg in die Gemeinschaft
Das Leben in einer Ordensgemeinschaft verläuft nicht immer geradlinig. Frauen kommen, Frauen gehen. Es passiert nicht selten, dass Kandidatinnen die Gemeinschaften wieder verlassen, gerade wenn sie ihre ewigen Gelübde noch nicht abgelegt haben. Der Weg zu diesem Versprechen ist ein mehr oder wenig langer. In der Regel beginnt er mit der Kandidatur. Die Interessierten leben dann für einige Monate als Kandidaten mit und prüfen, ob das geweihte Leben der richtige Weg für sie sein könnte. Beantworten sie diese Frage mit „ja“, so werden sie als Novizinnen aufgenommen und erhalten dabei auch das Ordensgewand. Im Noviziat sollen sie ihre Berufung besonders prüfen und erhalten Unterricht im klösterlichen Leben. Nach dem Noviziat können die Novizen, die bleiben wollen, ihre zeitlichen Gelübde für einige Jahre ablegen. Und wenn sie sich nach dieser Zeit noch immer sicher sind, dann heißt es: Bis der Tod sie vom Kloster scheidet.
Natürlich kämen auch Versuchungen an Ordensfrauen heran, sagt Sr. Miriam. Die Frau mit den feinen Gesichtszügen erzählt von Gedanken über die biologische Uhr: „Man überlegt sich dann, jetzt wäre ich in einem Alter, wo ich noch Kinder bekommen könnte.“ Vor einigen Jahren hat sie sich in einen Mann verliebt und er sich auch in sie, da war sie schon lange im Kloster. Eine Herausforderung für die Ordensfrau: „Ich habe extrem damit gerungen, aber dann auch gemerkt, dass ich nicht gleich das Handtuch werfen und davonlaufen darf. Auch wenn es für den Moment sicher schön gewesen wäre.“
Immer wieder sei sie von Gott gezogen worden; im Kloster hat sie Erfüllung gefunden, weil sie weiß, dass Gott sie mehr liebe, als jeder andere Mensch das jemals könnte. Nach einem kurzen Moment schaut sie auf, lächelt und sagt dabei: „Heute kann ich sagen, dass ich mit dem Kloster Freiheit gewonnen habe, auch wenn gerade der Anfang schwer war.“
*Name von der Redaktion geändert
Beitragsbild-Quelle: Alexandra Hogan