Frauen im Heavy Metal: „Ich bin frei zu tun, was ich will.“
Heavy Metal gab Claudia das Gefühl, nie allein zu sein. Für Michela ist es ein Zufluchtsort. Unser Autor hat die beiden Sängerinnen aus der von Testosteron dominierten Szene getroffen. Und erlebt: Grölen ist keine Männersache.
VON JULIAN DÜRNBERGER
Nach einem Securitycheck am Eingang der Szene Wien, führt Gerhard einen zum Platz. „Normalerweise kannst du überall sitzen, aber wegen Corona dürfen wir nur reservierte Plätze anbieten, wenn ma grillen wollen.“ Allmählich verschwindet der Zigarettenrauch, der sich in den Wänden festgesetzt hat und wird vom Duft des brutzelnden Fleischs verdrängt. Es ist Samstag 18:00 – der Heavy-Metalabend beginnt.
Hat man die leeren Räume des sonst so überfüllten Lokals hinter sich gelassen, offenbart sich ein Spektakel, das man sich bei einem Metalkonzert normalerweise nicht vorgestellt hätte. Auf den Heurigenbänken sitzen Eltern und Kinder, die zu Speis und Trank ausgelassen feiern. Daneben steht ein kleiner Pavillon, in dem die zwei Tontechniker die letzten Einstellungen am Mischpult vornehmen. Auf der linken Seite eine Bar, vor der sich Menschen tummeln und Bier trinken. Die meisten sind schwarz angezogen, nur einzelne Farbkleckse stechen aus der Menge heraus. Frauen sind wenige zu sehen. Auf der Bühne steht Claudia Jusits, sie ist Frontfrau der Band Raptor 200.
Raptor 200: so klingt Claudias grölender Gesang
Claudias „diabolischer“ Musikgeschmack
„Trinkt´s Bier, raucht´s Gras, macht´s was wollts!“ witzelt Claudia auf der Bühne und gibt der Band ein Signal. Die Sängerin hat schon immer einen schrulligen Humor gehabt, der zu ihrer Frohnatur passt. Wenn man bedenkt, was die Musikerin in ihrem Leben alles durchgemacht hat, ist ihre Einstellung bewundernswert. „Es gab keinen Freundeskreis, ich war ständig zuhause, um auf meinen kleinen Bruder und auf meine Mutter aufzupassen. Jedenfalls war die Musik alles, was ich hatte.“ Sie, sah sich damals als Einzelgängerin, doch Heavy Metal gab ihr das Gefühl, nie allein zu sein.
Claudia ist, mit ihrer Band, die Musikerin des heutigen Abends. Sie weiß, wie sich ihre Mutter wegen des „diabolischen“ Musikgeschmacks, Sorgen machte. Damals holte sie einen Pfarrer, der die angeblichen „Dämonen“ aus dem Kinderzimmer vertreiben sollte. Sie dachte, dass ihr Kind von bösen Dingen heimgesucht werden würde – Schuld daran wäre die Heavy-Metal-Musik. Die Mutter schämte sich sogar für Claudias Kleidung. „Sie war schockiert!“, meint die Sängerin, „Meine engen Hosen habe ich im Müllsackerl gefunden. Ich dachte mir: „So geht’s nicht“ und nähte mir aus den Fetzen eine neue Hose.“ Claudia ließ sich nicht davon abbringen, weiterhin auf Metalkonzerte zu gehen. „Wenn du dich einmal für Heavy Metal entschieden hast, kommst du nicht mehr weg, es ist wie ein Virus.“ 40 Jahre später steht sie selbst auf der Bühne und ermöglicht heute ein Grillfest für die „Metalheads“.
Plötzlich quietschen die Boxen – alle halten sich die Ohren zu. Der Tontechniker fuchtelt mit den Händen an den Reglern herum, um das Problem in den Griff zu bekommen. Die Gitarren werden leiser – dann ist es still. Ein schlechter Start in den Konzertabend, aber Claudia lässt sich davon nicht verunsichern. Ihr Gesicht ist von den letzten 30 Jahren Musikerleben gezeichnet, nur so fühlt sie sich nicht. Ihr braunes Haar trägt sie offen. Die Turnschuhe mit Leopardenmuster und die graue Jeanshose, verleihen Claudia einen jugendlichen Charme, den sie auf der Bühne ausstrahlt. Sie beginnt zu singen, das Publikum wird ruhig- alle Augen sind auf sie gerichtet. Der grölende Gesang versetzt die Leute in Trance.
Grölen ist keine Männersache
Wenn man Claudia nur hören und nicht sehen würde, ist es kaum zu glauben, dass eine Frau singt. Frauen begeistern sich ebenfalls für den grölenden Gesangstil, doch das Klischee einer Männer-Domäne in der Metalszene etablierte sich bereits in den 1980er-Jahren. Damals waren 8 von 10 Metal-Bands ausschließlich mit Männern besetzt.
„Hat mich gefreut, dass da wart´s“, sagt Claudia und bedankt sich beim Publikum. Ein älterer Mann schreit aus den hinteren Reihen und animiert die anderen zum Klatschen. Der Applaus wird immer lauter, gelegentlich schießen Pfiffe aus dem Publikum – die Stimmung erreicht ihren Höhepunkt.
Als die Band anfängt, die Instrumente wegzuräumen, suchen die meisten Besucher ihre reservierten Sitzplätze auf und widmen sich wieder den Tischgesprächen.
Ein junges Pärchen hat sich auf die Couch gesetzt. Der schlanke Junge, dessen Haare länger sind als die seiner Freundin, hat einen Teller mit Kotelett auf den Couchtisch gelegt. „Das ist echt gut und zu 100 Prozent vegan!“, sagt er und schmatzt genüsslich weiter, „Stimmt natürlich nicht, das war nur sarkastisch gemeint, die Chefin hat mir das Falsche gegeben.“ Danach erzählt er vom Auftritt der Band. „Eigentlich bin ich wegen Blind Petition hier, die Band von vorhin kannte nicht, aber die Stimme der Sängerin war Hammer. “
Michelas Zufluchtsort: Heavy Metal
Zwölf Tage nach dem Sommerfest gibt Claudias Gesangsschülerin, Michela Vignoli, ein Konzert – dieses Mal im Viper Room. Das Lokal an der Landstraßer Hauptstraße in Wien wurde 2007 eröffnet und gilt seitdem als Hotspot für Heavy-Metalbands. Auch hier muss man sich durch enge Gänge durchzwängen. Die steinernen Treppen führen mehr als zwei Stockwerke unter die Erde, wo in einer Art gewölbten Weinkeller die Bühne steht. Die Wände sind geschwärzt, die Lichttechnik an der Decke kann man kaum sehen. Grim Justice, Michelas Band, machen gerade ihren Soundcheck.
„Früher sah ich aus wie ein Mauerblümchen“, sagt Michela. In den 1990er-Jahren wuchs sie in einer konservativen Gemeinde in der Schweiz auf. Das Tragen von Tattoos, Piercings und sogar kurzen Haaren gehörte sich für ein Mädchen dort nicht. Als sie volljährig war, führte ihr Keltologie-Studium sie nach Wien, wo sie durch Studentenkollegen zum ersten Mal mit der Metal-Szene in Berührung kam. Für sie offenbarte sich eine Welt voller Energie – sie war überwältigt.Wenn die tobenden „Metalheads“ vor der Bühne ihre langen Haare zur Musik herumpeitschten, während der Sänger sie anschrie. Die Stimmung im Publikum, die wie ein gefährliches Handgemenge wirkte, aber abrupt aufhörte, wenn die Band leise war. Es war verrückt. Die Menschen trugen lange Haare, hatten Glatzen mit Tattoos verziert und Piercings im Gesicht.
„Heavy Metal ist ein Statement: Ich bin frei zu tun, was ich will.“ erklärt Michela. Als Frau gehört sie zur Minderheit in der Metal-Szene, doch das stört sie nicht, weil das Geschlecht keine Rolle spielt. „Meiner Erfahrung nach starrt dich keiner an und du kriegst auch keine blöden Kommentare zu hören. Eigentlich habe ich die Leute in der Wiener Metal-Szene immer als sehr herzlich empfunden. Mit dem Geschlecht gibt es kein Problem.“. Heavy Metal ist für sie nicht nur eine Musikrichtung, sondern ein Zufluchtsort, wo sie sich ausleben kann.
Glasklare Stimme mit Power
Viper Room ist voll – Grim Justice legt los. Im Scheinwerferlicht steht Michela, sie trägt mit Nieten bestickte Lederjacke und rote Latexhose. Ihr gelocktes Haar trägt sie auf der linken Seite, die rechte Seite ihres Kopfs ist kahlrasiert. „Wir freuen uns endlich mal wieder auf der Bühne zu stehen!“, schreit sie ins Mikrofon, „Unsere erste Nummer: CURSE– OF – THE – MOON!“ und hämmert in die Gitarrensaiten hinein. Obwohl Michelas glasklarer Gesang verwendet, ist die Stimmung der brüllenden Metalheads auf 180.
Im Gegensatz zur grölenden Angela Gossow bedient Michela sich eines ruhigen Gesangs, der im Heavy Metal eine 40-jährige Tradition hat. Heute gilt die Sängerin Tarja Turunen als prägende Person für den Gesangstil. In den 1990er-Jahren setzte sie mit ihrer Band Nightwish den ersten Baustein für das Subgenre Symphonic Metal und beeinflusste viele andere Bands nach ihr. Eines der weltgrößten Metalmagazine – Metal Hammer – bezeichnete 2015 Nightwish sogar als „Mitteleuropas erfolgreichste Band, neben Rammstein.“
Grim Justice: So klingt Michelas Stimme
Zwei junge Mädchen in der ersten Reihe jubeln Michela zu. Die eine schüttelt ihre blonden Rastalocken zum Beat des Schlagzeugers, der anderen entwischt ein „Wuhu!“ aus ihren mit Piercings versehenen Mund. Hinter der Mädchengruppe formt ein bärtiger Mann mit seinen Händen einen Trichter und brüllt „Zugabe!“. Zumindest hier gibt es Männer und Frauen, die sich gemeinsam für die Musik begeistern.
Beitragsbild-Quelle: Julian Dürnberger