Feminismus: Wer spricht eigentlich für wen?
An wen richtet sich Feminismus? Meist wird dabei über ökonomisch erfolgreiche Frauen gesprochen – dadurch wird aber Berufserfolg mit gesellschaftlichem Mehrwert für Feminismus vermischt.
VON MATTHIAS KRAMMERSTORFER
Frauen sollen gestärkt werden, aber in nur die erfolgreichsten und besten. Ein feministisches Konzept, das auch die Supermarkt-Kassiererin oder die Kellnerin von nebenan erreicht, fehlt meistens. Was auch fehlt ist ein Konzept mit einem globalen Anspruch, welches nicht kilometerweit an den Bedürfnissen von Frauen vorbeischlittert und bedenkt, dass Frauenrechte und die soziale Frage nicht zu trennen sind. Die Mehrheit der Frauen, sind sie der blinde Fleck in der heutigen Feminismus Debatte?
Mainstream Feminismus im 21. Jahrhundert reduziert sich oft auf eine neoliberale, auf ökonomischen Erfolg ausgerichtete Definition. Die 1% der Frauen, die an der Spitze von Politik, Wirtschaft und Kultur stehen werden mit Preisen ausgezeichnet. In Österreich beispielsweise mit dem „Leading Ladies Award“, den Frauen wie Kathrin Glock gewinnen. Die gern zitierte Supermarkt-Kassiererin, die während Covid-19 jeden Tag hinter der Kasse saß, wurde in der Not zwar beklatscht, aber genauso schnell auch wieder vergessen. Was macht sie weniger zu „Leading Lady“?
Feminismus: Spielball zwischen Politik und Macht
Feminismus und Gleichstellungsdebatten sorgen seit den 1970er Jahren für Diskussionsstoff. Die politische Debatte existiert heute noch und wird mittlerweile nicht nur von Parteien aus dem linken politischen Spektrum geführt, sondern auch von konservativen und rechten Fraktionen. Bei bestimmten politischen Kräften wird die Feminismus Debatte oft im Kontext von „Heimatschutz“ und „Inländerrechten“ missbraucht. Aufgrund der Wirtschaftskrise 2008 und der rasanten Globalisierung spitzte sich die Feminismus Debatte zu und vertiefte ideologische Gräben. Worauf sich die meisten Parteien jedoch einigen können? Auf das erfolgreiche, weibliche Aushängeschild. Je nach Colour, je nach Ideologie, je nach sozialer Lage: mit Frauenthemen wird gerne jongliert. Mittlerweile oft auch von ökonomisch erfolgreichen Frauen selber, die vom Nektar der Macht gekostet haben und anstatt wirklich für Geschlechter- und Chancengleichheit einzustehen, das vorherrschende System schützen. Ein in Wirklichkeit sozialdarwinistisches System in dem der oder die Stärkste sich durchsetzt. Die Frau steht oft an zweiter Stelle. Aber ja, wenn sie will, wenn sie wirklich will kann sie es auch. Die innere, progressive Logik des freien Marktes reguliere, ja fördere sogar Gleichberechtigung. Frei nach dem Motto: „Jede ist ihres eigenen Glückes Schmied“, wird aber Herkunft, Religion, soziale Klasse, und Bildungsgrad außen vorgelassen. Diskriminierung auf mehreren Ebenen wird ignoriert. Wann bekommt die lesbische, schwarze Frau ohne akademischen Abschluss oder großen wirtschaftlichen Beitrag den „Leading Ladies Award“? Zugespitzt, aber ernst gemeint. Selbstoptimierung lautet das Gebot der Stunde. Neoliberaler Feminismus ist auf diese Logik aufgesprungen und hat die Diskussion von den eigentlichen Problemen, vor denen viele Frauen stehen, weggelenkt. Feminismus im Jahr 2020: Vom gesellschaftspolitischen Statement zum praktischen kapitalistischen Werkzeug.
Facebook und Gleichberechtigung
Facebook-CEO Sheryl Sandbergs ist eine dieser neoliberalen, vermeintlichen Feministinnen. Sie lässt sich an die Öffentlichkeit verkaufen und vermarkten, das weiß gerade ein börsennotiertes Unternehmen wie Facebook, am besten. Sandberg schrieb ein Buch mit dem Titel „Lean In Feminism”. Ein sich anlehnender Feminismus. Anlehnend die Erfolge der elitären Männer. „Lean-In“ beschreibt genau diesen wirtschaftsliberalen, exklusiven Feminismus der sich an privilegierte, weiße, reiche und gebildete Frauen richtet. Sie können das gleiche erreichen wie Sandberg. Und Sandberg kann das gleich erreichen wie erfolgreiche Männer in den Chefetagen der multinationalen Konzerne. Warum sollten Frauen etwas erreichen wollen, was bei Männern vom Großteil der Gesellschaft angeprangert wird? Die Machtkonzentration und Entscheidungskraft sowie die finanzielle Vergütung einiger weniger sollen ein bisschen weiblicher werden, um die grassierende Ungleichheit weiterhin kaschieren zu können. Die herrschende Klasse, die durchaus als Antithese von nachhaltig ausgerichtetem Feminismus bezeichnet werden kann, wird damit lediglich um einen Schuss weiblicher. Aus westlicher Perspektive scheint es sogar fast schlüssig: Jede Frau kann alles erreichen, wenn sie dafür nur hart genug arbeitet! Stimmt jedoch nur bis zu einem gewissen Grad. Was Sheryl Sandberg und Co. dabei nicht bedenken, mit Nanny, Putzfrau und gesichertem Bankkonto lassen sich diese Ziele viel eher erreichen als ohne diesen Luxus. Die Masse der Frauen, auch in reichen Ländern wie Österreich, kämpft mit ganz anderen Problemen. Manchmal jeden Tag aufs Neue. Was würde Sandberg wohl zu Supermarktkassiererin sagen? „Alltagsheldin, wenn du weiter hart arbeitest wird es sich lohnen“? Mehr bezahlt wirst du aber vorerst nicht.“ Natürlich gibt es auch unter elitären Frauen Ausnahmen, leider zu wenige, weil sie für den Kampf nach Gleichstellung genauso wichtig wären.
An der Tatsache, dass Machtverhältnisse weiterhin eingemeißelt in männlichen, weißen, westlichen Händen sind ändert „Lean-In Feminismus“ kaum etwas. Eine Erzählung, die sich um 1% der Frauen dreht, die tatsächlich mächtiger werden. Wo, wie und wann sie mächtiger werden, entscheiden dennoch meistens Männer. Ein Fortschritt? Als Feminist sage ich, ein auf jeden Fall begrenzter Fortschritt.
Die Frauen der 99%: hinter euch stehen wir!
Auf der anderen Seite findet man Frauen wie die amerikanischen Philosophinnen Nancy Fraser, Cinzia Arruzza und die asiatische Historikerin Tithi Bhattacharya. Wie die meisten progressiven Ansätze, die versuchen einen Paradigmenwechsel in der Gleichheitsdebatte hervorzurufen, bekam ihr „Feminism of the 99%“ von 2017 leider viel zu wenig Beachtung. Sie plädieren für einen Feminismus, der sich als international und global vernetzt versteht. Für einen Feminismus der sich als ökologisch und antirassistisch versteht. Und für einen Feminismus der vor allem eines sein sollte: antikapitalistisch. Quasi das Gegenteil von Sheryl Sandberg. Begonnen hat die Überlegung mit Protesten gegen die verschärften Abtreibungsgesetzte in Polen 2016. Zur gleichen Zeit wurde in Südamerika gegen die Sparpolitik gestreikt, welche den ärmsten Teil der Gesellschaft betraf. Die Überlegung war daher die Frage der ökonomischen Ungleichheit und Geschlechterungleichheit zu verbinden. Feminismus für die 99% will eine Mehrheit schaffen, die die Herausforderungen der modernen Arbeit versteht und lebt. Egal ob es sich um einen Mitarbeiter einer Schlachtfabrik in Tönnes oder um eine Krankenschwester im Südburgenland handelt. Die Strömung möchte aufzeigen, dass antikapitalistische Politik die Mehrheit der Frauen und Männer hinter sich vereinigen kann. Feminismus betrifft die Mehrheit der Gesellschaft direkt. Eine Grassrootsbewegung, die für den solidarischen Kampf, Gemeinschaft und Zusammenhalt der gesellschaftlichen Mehrheit steht, egal ob Mann oder Frau, denn zu den 99% gehören jene, die nicht im ökonomischen Spitzensegment mitspielen. So wie du und ich.
Seid alle FeministInnen! Denn in dieser Interpretation betrifft Feminismus uns alle.
Beitragsbild-Quelle: Matthias Krammerstorfer