Esoterik & Geschlechterbilder: Frauen sind Frauen, Männer sind Männer
Gerade Frauen scheinen sich vom spirituell-esoterischen Angebot besonders angesprochen zu fühlen. Doch was bedeutet Weiblichkeit eigentlich in dieser Sphäre? Angelika Höfner und Claudia König-Bunjoch versprechen in ihrem Workshop „Raum für Weiblichkeit“ und bieten ein Wohlfühlprogramm aus Düften und Klängen, Yoga und einer Gebärmutter-Meditation.
von Pia STEIDL
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Willkommen zur Gebärmutter-Meditation.
Atme tief ein- und wieder aus.
Mit jedem Atemzug enstpannst du dich.
Tiefer und tiefer.
Spiritualität und Weiblichkeit. Klischee oder Empowerment?
Die Jurte steht auf einer Lichtung am Waldrand, mitten im üppigen Grün der immer noch städtischen Wildnis. Zwischen Kräutern und Gräsern wuchern Zucchini und Kapuzinerkresse. Salat wächst wie wild zwischen Maispflanzen und Artischocken. Nur Gelsen irritieren die fruchtbare Idylle.
Angelika Höfner ist Energetikerin und bietet seit 17 Jahren spirituelle Kurse, Seminare und Behandlungen an. Seit zwei Jahren arbeitet sie beinahe ausschließlich in ihrer „Heil-Klang-Jurte“ in Neuwaldegg im Westen Wiens. Zum Workshop „Raum für Weiblichkeit“ sind heute sieben Teilnehmerinnen gekommen. Das elfenbeinfarbene Zelt ist voll. Auf dem Programm stehen Räucherung und Chakren-Düfte, ein „Klangbad“ mit Gong, sanftes Yoga und eine Gebärmutter-Meditation. Vier Stunden dauert der Workshop und kostet 59€. Snacks und Schokolade inklusive.
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Öffne ein wenig deinen Mund. Werde weich. Werde sanft.
Sei dir bewusst: Dein Mund und dein Muttermund
sind miteinander verbunden. Je entspannter dein Mund ist,
desto entspannter ist auch deine Gebärmutter.
Chakren, Energien, Quantenheilung
Die Teilnehmerinnen sind zwischen Mitte dreißig und sechzig. Sie alle tragen an diesem Tag luftig-weiße Kleidung. Eine blonde Frau trägt eine Kette mit dem Symbol des Sakral-Chakras um den Hals. Kati heißt sie. Wegen Rückenschmerzen habe sie vor Jahren mit Yoga begonnen, erst seit kurzem beschäftige sie sich mit Chakren und Energien. Diese „Energiearbeit“ gebe ihr Kraft und Ruhe. Die sozialpsychiatrische Betreuerin hat fast nur weibliche Kolleginnen und ist Konkurrenz unter Frauen gewohnt. Hier genieße sie es, „als Frau mit anderen Frauen etwas Schönes zu machen“.
Eine andere stellt sich als „Erika Clara Berta“ vor. Auf ihren Lippen verblasst hellroter Lippenstift. Das lockige Haar hat sie wohl erst kürzlich gefärbt. Dunkelrot, ins Violette gehend. Ihre drei Namen, findet sie, passen sehr gut zu ihr. Als Frau. „Erika Clara Berta“. Die Starke, die Klare und die Mütterliche.
Monica, die neben ihr steht, lächelt. Namen seien irrelevant. Sie seien doch lediglich Bezeichnungen unserer irdischen Hüllen, so die zierliche Frau mit dem rumänischen Akzent. Ihr weißes Shirt ist mit Strass geschmückt. Bei Angelika macht sie gerade eine „intuitive healing“-Ausbildung. Ähnlich wie Quantenheilung würde das funktionieren, also auf der „feinstofflichen Ebene wirken“.
Spüren statt Wissen
Weder die Grundlage noch die Wirksamkeit dieser Praktiken sind wissenschaftlich belegt. Doch darum geht es auch nicht. Worum es geht, das ist in erster Linie das Spüren, das intensive Fühlen. „Nur das, was ich spüren kann, an das glaube ich“ wird auch Claudia König-Bunjoch, Yogalehrerin und Workshop-Co-Leiterin, später sagen.
„female only“-Feelgood
Angelika hat das aschblonde Haar zu einem legerem Zopf gebunden. Wenn sie lächelt, schieben sich sanfte Fältchen neben ihre schmalen Augen, die dann fast zur Gänze hinter den Lidern verschwinden. Ein winziges Piercing glänzt am Stupsnasenflügel und verleiht dem Gesicht der 45-jährigen seine verschmitzte Jugendlichkeit.
Ein schützender Raum soll die Jurte sein, „wie eine Gebärmutter“. In der Mitte des Bodens ruht eine Schale aus leichtem Metall. Sie ist üppig befüllt mit rosaroten und weißen Rosen, sattviolettem Wiesensalbei und purpuren Flockenblumen. Rundherum warten dunkelgraue Yoga-Matten auf die Teilnehmerinnen. Sonnenstrahlen streifen glänzende Messing- und milchig weiße Kristall-Klangschalen. Neben der hölzernen Eingangstür dekorieren Leckereien unscheinbare Teller auf einem Tischchen. Dunkle Schokolade-Herzen, ein praller Erdbeerkuchen und duftender Kräutertee locken einladend. „Freudvolles und Sinnliches“ soll hier passieren können, so Angelika. „Sich öffnen für all die Möglichkeiten und die Schönheit, die das Leben bietet.“
Sanft und sexy
Der Workshop beginnt mit Räucherwerk. Angelika zündet ein Stück Palo Santo an, „heiliges Holz“, und reicht es, kaum glühend, in die Runde. Der dünne Rauch soll der Reinigung des Energiefeldes dienen. Als Monica an der Reihe ist, bittet sie um Feuer. „Da ist nichts mehr“, sagt sie, und betrachtet das angekohlte Stück Baum mit gerunzelter Stirn. Claudia reicht ihr ein Feuerzeug. Monica hält die Flamme mit angestrengter Miene an das Holz und führt das erneut glühende Stück mit geschlossenen Augen, aufrecht und bedächtig knieend, um ihren ganzen Körper. Dann reicht sie es weiter.
Die einzige Lichtquelle in der Jurte ist ein rundes Fenster in der Mitte der Decke. Im Zentrum ragen zwei robuste Stützen aus dem Lärchenboden in das Dach. Die Stützen tragen das Dach, das Dach die Wand. Die Wand das Dach, das Dach die Stützen. Jedes Teil ein Teil des Ganzen. Die ganze Jurte ein Kreis. Symbol des Zyklus, der in der Sphäre der Spiritualität der Weiblichkeit doch so wichtig ist.
In zwei braunen Fläschchen präsentiert Angelika die Chakrendüfte. Der erste soll das Herzchakra klären, das für Hingabe, Verbindung, Liebe und Nähe steht. Er duftet, „wenig überraschend“, scherzt Angelika, nach Rose. Der zweite Duft, für das Sexualchakra, ist ein schwerer Moschusduft. „Falls euch auf dem Weg auf einmal Männer verfallen, ich übernehme keine Verantwortung“, witzelt sie weiter. „Ja, ist hier alles schon vorgekommen.“
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Nimm dir Zeit und gehe zurück
zu deinen sexuellen und sinnlichen Erfahrungen.
Was spürst du, was siehst du?
Spiritualität und Weiblichkeit. Klischee oder Empowerment?
Die Weiblichkeit befindet sich im Analbereich
Wie viele andere spirituelle Angebote für Frauen verorten auch Angelika und Claudia ihren Workshop in der Nähe des Tantra. Der häufig missverstandene Beriff bezeichnet verschiedene philosophische und religiöse Strömungen innerhalb des Hinduismus oder Buddhismus.
Ein wesentlicher Punkt im Tantra ist der Glaube an die Doppelnatur aller Dinge. „Shivashakti“ ist Zweiheit und Einheit gleichzeitig, einander anziehend wie ein Magnet. Ursprünglich Eines, spaltete sich Shivashakti in Shiva, das Männliche und Shakti, die das Weibliche. Shiva, der Himmel, das Göttliche, Ewige und Unbewegliche. Shakti, die Erde, Veränderung, das Physische und Materielle. Da Tantra auch an einen Kosmos im Inneren des Menschen glaubt, sind Shiva und Shakti zudem hier jeweils in „Himmel“ und „Erde“ zu finden: Shiva thront im „Kronenchakra“ im Bereich oberhalb des Kopfes, Shakti wohnt zwischen Anus und Genitalien.
Es ist Teil des tantrischen Glaubens, durch sinnliche, körperliche Erfahrungen höhere spirituelle Zustände erfahren zu können. Den meisten tantrischen Schulen gemein ist außerdem die starke Verehrung von – eben den mit Körperlichkeit verbundenen – weiblichen Gottheiten.
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Atme und lächle in deine Gebärmutter.
Verbinde dich mit ihr. Nimm sanft Kontakt auf.
Wie geht es ihr? Was erzählt sie dir?
„Wir haben gewählt, als Frau auf der Erde zu sein“
Das Aroma von Lavendel und Citronella erfüllt den runden Raum mit einer eigenartigen Mischung aus Schwere und Klarheit. Ein tropfenförmiges Gerät haucht den ätherischen Nebel aus der Öffnung seines Halses. Er soll die Insekten fernhalten.
„Wir haben sowohl die männliche Seite als auch die weibliche Seite in uns.“ erklärt Angelika. „Aber wir agieren als Frauen. Weil wir gewählt haben, als Frau hier auf der Erde zu sein. Du hast deine Qualitäten als Frau, und gehst im Normalfall auch als Frau durchs Leben. Männer gehen als Männer durchs Leben und haben ihre Qualitäten und Interessen. Männer tun sich leichter, die männliche Qualität umzusetzen, weil das ihr Wesen ist und ihnen entspricht. Und bei uns Frauen ist es umgekehrt.“
Claudia beginnt mit den Yoga-Übungen. Die Teilnehmerinnen machen mit, so gut es eben geht, denn etwas eng aneinander liegen die dünnen Matten schon. Claudias ruhige Stimme und Angelikas Klangschalen begleiten die sanften Dehnungen von Beinen und Rücken, Becken und Bauch.
Spiritualität und Weiblichkeit. Klischee oder Empowerment?
„Sehr rationell, aus der Verstandesebene heraus zu agieren“ beschreibt Angelika den „männlichen Weg“. Die männliche Energie, das sei das Rationale, das Geistige. Zielgerichtet, dynamisch, aktiv, leistungsorientiert. Weiblich, das sei „Intuition, Hingabe, Emotionalität, Stille, weich, offen und fließend sein, erlauben, genießen, sich zurücklehnen können“. Für die beiden Frauen ist keine dieser „männlichen“ oder „weiblichen“ Eigenschaften besser oder schlechter als die andere. Es ginge um Ausgewogenheit.
Die Aufwertung „typisch weiblicher“ Eigenschaften gehört zum Streben nach echter Gleichberechtigung dazu. Die Zuschreibung zum jeweiligen biologischen Geschlecht ist aber längst überholt. Sie entspricht problematischen und porösen Klischees, die emanzipatorische Bewegungen seit Jahrzehnten aufzubrechen versuchen.
Die zentimeterdicke Dämmung aus grauem Wollfilz dämpft angenehm den Schall. Die Jurte ist wetterfest, außen hält eine Plane die Witterung fern. Nur ein kleiner Holzofen erinnert an die zähen Jahreszeiten, die seinen Einsatz unvermeidlich machen. Heute ist er lediglich Dekoration am Rande, in diesem Raum ohne Ecken.
„Unsere Welt ist von Männlichkeit dominiert und das Gleichgewicht der Erde durch zu wenig Weiblichkeit gestört.“ fährt Claudia fort. Sie trägt ihr dichtes Haar offen. Es schimmert in dunklen erdfarben, hier und dort vereinzelt silbern. Wie Sternschnuppen. Ihren grünen Augen glänzen. Wenn sie lächelt, dann groß und herzlich. Wenn sie spricht, dann klar und sanft. Man hört ihr gerne zu. „Deshalb müssen wir das Weibliche in uns aktivieren und stärken, um das Gleichgewicht wieder herzustellen. Für unser Wohl und das Wohl auf der Welt.“
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Lege deine Hände auf den Unterbauch.
Lenke die Energie in deinen heiligen Schoß.
Leite mit jedem Ausatmen ein tiefes, wohliges Gefühl
in deine Mitte. In deine Tiefe und weibliche Essenz.
Lebenshilfe oder Egozentrismus?
Die Soziologin Dr. C. Barth sieht in der esoterischen Spiritualität häufig eine Coping-Strategie. Das heißt, Esoterik kann Menschen helfen mit schwierigen Situationen und dem damit einhergehenden Gefühl von Kontrollverlust umzugehen.
„Ich hatte das Gefühl, nur teilweise vorhanden zu sein“ erinnert sich Claudia an eine schwere Krise, auf die schließlich ihr spirituelles „Erwachen“ folgte. Früher habe sie an einer Montessori-Schule gearbeitet. Ihr Chef war männlich, obwohl fast alle, die dort gearbeitet hätten, weiblich gewesen wären. Nach ihrer Karenz drohte der berufliche Abstieg. „Es war die Sehnsucht da, anders zu Leben. Alles in mir hat geschrien: so will ich nicht weitergehen.“
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Verwandle alle Erfahrungen urteilsfrei in Licht.
Begegne ihnen mit Dankbarkeit. Spüre die Transformation.
Ob es einen Zusammenhang gibt zwischen der strukturellen Benachteiligung von Frauen und ihrem Hang zu Esoterik? Warum Frauen insgesamt spiritueller sind als Männer scheint – unseren Recherchen nach – nicht geklärt zu sein. Diskriminierung lässt sich mit dem richtigen Sinngebilde jedenfalls besser ertragen. Die esoterische Spiritualität erlaubt es sogar, die gläserne Decke als persönliches und bewältigbares Laster eines früheren Lebens zu deuten, statt als haarsträubende und unüberwindbare Ungerechtigkeit. Möglich, dass Esoterik einigen Frauen hilft, innerhalb diskriminierender Strukturen weiterhin zu funktionieren. Die Strukturen selbst bleiben dabei leider unangetastet.
Sinn finden
Die beiden Workshop-Leiterinnen haben einen Weg gefunden, ihrem Frau-Sein in einer Männerwelt Sinn zu geben. „Das Weibliche wird die Erde heilen. Diese jahrtausendelange Unterdrückung der weiblichen Energie – da kommt es jetzt zum Ausgleich“ ist sich Claudia sicher.
In der Jurte ist es in der Zwischenzeit stickig geworden. Monica hustet etwas. Sie sei verkühlt – ein Zeichen, dass sie Themen im Halschakra zu bearbeiten hätte. Angelika öffnet die hölzerne Tür. Bald kann auch der Citronella-Duft die Gelsen nicht mehr fernhalten. Claudia schließt die Yoga-Einheit mit einem Mantra. Om Lokah Samastah Sukhino Bhavantu – „Mögen alle Lebewesen glücklich sein“. Im Shavasana, der liegenden Yoga-Ruheposition, beginnt die Gebärmutter-Meditation.
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Spürst du zurückgebliebene Energien in deiner Gebärmutter,
die dir nicht mehr dienlich sind?
Mit jedem Atemzug lässt du diese fremden,
unerwünschten Energien los.
Die weibliche Ur-Kraft in der Gebärmutter
Tiefe Atemzüge entspannen die liegenden Körper. In sieben Gebärmüttern wartet die weibliche Ur-Kraft. „Die ist wild. Es ist der Tiger, den ich dann reiten muss. Wenn ich das aufwecke, muss ich damit auch umgehen können.“ beschreibt Claudia sie.
Mit jeder Ausatmung fühlst du dich leichter. Erwarte nichts. Genieße den Augenblick des puren Seins.
„Es führt heraus aus dem Lieblichen. Was wir Frauen oft sind, was ich sehr gut kenne. So bin ich auch erzogen worden. Schön, lieb, nett und brav zu sein.“
Die Gebärmutter ist der Tempel unserer Weiblichkeit. Hier sitzt unsere weibliche Kraft, die Intuition und das Bauchgefühl.
„Oder, dass ich mir etwas nehme, weil ich das will. Und nicht als Frau wieder zu schauen, ob das, was ich will, für alle stimmig ist. Und nur wenn es für alle stimmig ist, mach ich das.“
Spüre, wie dein Raum sich öffnet. Genieße es. Sei ganz in deinem Körper. Atme mit ihm und ruhe in ihm. Spüre, wie Mutter Erde deinen Körper trägt. Wie sie dich nährt und beschützt. Und du deine Gebärmutter nährst und beschützt.
Frauenkreise als gesellschaftspolitisches Engagement?
Claudia ist überzeugt, dass ihre energetische Arbeit der ganzen Welt hilft: „Immer mehr Frauen kommen zusammen und gemeinsam stärken wir die weibliche Energie. Auch stellvertretend für die Frauen, die das nicht machen können. Zum Beispiel, weil sie in patriarchalen Systemen unterdrückt sind. Oder kein Geld haben. Die Frauen, die die Möglichkeiten haben, die haben auch Verantwortung.“
Doch im Zentrum der esoterischen Spiritualität scheint das Individuum meist alleine. Jede Frau für sich soll so hell strahlen, dass sie die gesellschaftlichen Verhältnisse mit erleuchtet. Vorausgesetzt, diese werden nicht von vornherein ausgeblendet.
Nach einer halben Stunde fließen die Frauen aus ihren Unterbäuchen zurück ins Diesseits. Sie ruhen noch ein wenig nach, bevor sie die Zauberwelt der Jurte verlassen müssen. Hinaus in eine Realität, wo die schönen Dinge viel zu wenig Wert sind. Zurück in eine Welt, in der man sich das Kronenchakra an der gläsernen Decke stößt.